Eine karikaturhafte Selbstanklage und ein Abgesang auf die Moralphilosophie.
Machtgier, Manipulation und Heuchelei stehen fett im Kurs.
Clamence, von Beruf Bußrichter, outet sich durch seine Rhetorik schon sehr früh im Buch als manipulativer Zyniker. In einem Scheindialog, der ein Monolog ist – der Gesprächspartner kommt nie zu Wort, Clamence reagiert lediglich auf vereinzelte, angedeutete Aussagen – labert er den Leser mit Verzerrungen existentialistischer Themen in einem selbstgefälligen, belehrenden Ton an die Wand.
Ein dogmatischer Charakter, der seine Beobachtungen, Erkenntnisse und das Subjekt absolut setzt. Die Rhetorik des Buches zielt darauf ab, keine kritische Prüfung zuzulassen. Eine unbewegliche Haltung, die keine Abweichung von den festgelegten Prinzipien erlaubt. Begriffe wie „Schuld“ werden lediglich als Maske verhandelt.
Dieses Zitat zeigt exemplarisch die gesamte Strategie des Textes: alles speist sich aus dem Wunsch nach Macht und Kontrolle – eine strategische Verengung.
„In Tat und Wahrheit– Sie wissen es selber genau – träumt jeder intelligente Mensch davon, ein Gangster zu sein und mit roher Gewalt über die Gesellschaft zu herrschen. Da dies nicht so einfach ist, wie die einschlägigen Romane glauben lassen mögen, verlegt man sich im Allgemeinen auf die Politik und läuft in die grausamste Partei. Aber, nicht wahr, man kann ja seinen Geist ruhig erniedrigen, wenn einem dafür alle Welt untertan wird! Ich entdeckte in mir süße Unterdrücker-Träume. Zumindest merkte ich, dass ich einzig und allein so lange auf Seiten der Schuldigen, der Angeklagten stand, als ihr Vergehen mir nicht zum Nachteil gereichte. Ihre Schuld verlieh mir Beredsamkeit, weil nicht ich ihr Opfer war. Fand ich mich selbst bedroht, so wurde ich nicht nur meinerseits zum Richter, sondern darüber hinaus zum jähzornigen Gebieter, der ohne Ansehen der Gesetze danach verlangte, den Delinquenten niederzuschlagen und in die Knie zu zwingen. Nach einer solchen Feststellung, Verehrtester, ist es recht schwierig, weiterhin ernsthaft zu glauben, man sei zur Gerechtigkeit berufen, zur Verteidigung der Witwen und Waisen prädestiniert.“
Seine These: Wir setzen uns nur so lange für Gerechtigkeit ein, wie wir selbst nicht betroffen sind. Sobald man uns an die Wäsche will, übernehmen die Triebe, der Zorn, der bei Clamence lediglich an Herrschsucht gebunden ist.
Der Wunsch, ein Gangster zu sein, wird moralisch interpretiert und damit auch der Zorn, der für ihn die logische Konsequenz darstellt. Dass der Wunsch nach dem Gangstertum ein Symptom der Verzweiflung und des Bedürfnisses nach Anerkennung sein könnte, wird ignoriert.
Die Argumentation bekommt eine Schlagseite. Es kann nur so sein und nicht anders. Keine Ambivalenzen sind möglich, was selbstredend rein destruktiv geformt ist. Der zynische Tonfall springt ins Auge. Ernsthaftigkeit wird verspottet. Jedwede alternative Denkweise wird entfremdet.
Clamence generalisiert und erhebt universalistische Ansprüche wie „jeder intelligente Mensch“. Zudem gibt es keine Erklärung dafür, was darunter zu verstehen ist. Die Generalisierung wird einfach so platziert, dass sie weder reflektiert noch hinterfragt wird. Er zwingt in eine Zustimmung, ohne dass eine Diskussion stattfindet.
Verschleierung, Verkürzung, Überspitzung und Komplexitätsreduktion.
Hier entsteht überhaupt kein Zwischenraum. Weder auf der Inhaltsebene noch auf der sprachlichen Ebene. Ich kann mich nur damit identifizieren oder es ablehnen. Wenn ich es ablehne, passiert aber nichts weiter. Der Text gibt sprachlich, stilistisch keine Möglichkeit mit meinem Nein weiter zu arbeiten. Ein Konflikt wird eröffnet, der ungelöst bleibt, jegliche Grundlage für Verständigung wird untergraben, da er nur den Schluss der Selbstgerechtigkeit zulässt.
Die Sprache ist bewusst in einem Überlegenheitsdünkel gewählt. Sie wird zu einem Werkzeug der Kontrolle, nicht der Kommunikation.
Stilistisch lässt der Text keine Interaktion zu und bewegt sich sprachlich in einer geschlossenen Schleife. Produktives Reagieren ist somit nicht möglich.
Als Leser wird man in diese rhetorische Falle gesperrt, in die Ecke gedrängt und mit verdrehten, relativierenden Aussagen gequält.
Ich denke dass auch deutlich wird, dass eine ernsthafte Beschäftigung mit philosophischen Konzepten durch diese Konzeption des Textes nicht gegeben ist.
Worum geht es denn dem Text?
Die Absicht ist etwas, das er verhältnismäßig oft erwähnt. Die Absicht geht bei ihm der Tat voraus. Und! Sie ist bei ihm natürlich von Zynismus und Selbstzweifel durchsetzt.
Jegliche Handlung muss bei ihm daher scheitern.
Clemens nutzt diesen elendig nervtötenden Monolog, Finte um Finte, Nebelkerze um Nebelkerze, um sich in seiner eigenen Passivität zu verlieren. Eine Handlung existiert nicht. Es wird gelatscht, gequatsch, gesoffen, geglotzt. Das wars.
Er urteilt, klagt an, in sich geschlossen als Monolog. Es findet keine Kommunikation statt. Kommunikation muss für mich Anschlussmöglichkeiten eröffnen, die Gedanken, Handlungen oder Verhaltensweisen weiterführen können. Erlaubt der Text nur nicht. Die Absicht beherrscht alles und die Tat verkommt zur bloßen Bestätigung eines vorgefassten Zynismus.
Die Absicht: autoritäre Machtphantasien nach allen Seiten durch manipulative Rhetorik absichern. Widersprüche im Keim ersticken.
Die Sprache dient Camus als Werkzeug. Sie wird auf ihre Funktion reduziert. Empfangt meine Botschaft! Empfangt das reine Ergeben im Absurden. Empfangt meine Selbstanklage, denn nur so bin ich frei zu urteilen wie es mir beliebt.
Und nun meine Frage an alle da draußen: Wie kann ich mit solch einer Niedertracht produktiv als Text arbeiten? Der Text umfließt und hinterwandert die Figur Clemens nicht. Der Text, die Sprache, der Stil ist Clemens.
Ich kann mich tatsächlich nur hinstellen und anerkennend nicken und sagen: Respekt mein Junge! Das ist mal nen ausgezeichnetes Beispiel für manipulative Dogmatik, die die ganze Moralphilosophie den Gulli runter spült.
Ich bin als Leser zwar kein Teil des Geschehens, Requisite muss reichen, aber hey, immerhin hab ich nem Wacholder saufenden Typen nen paar Stunden meines Lebens gegönnt, der den Reißverschluss hochzieht und sagt: „War geil oder?!“
NEIN Camus. Du hast hier Literatur der Ohnmacht produziert - Sackgassenliteratur- der du sprachlich keine Mittel entgegen setzen kannst oder sie bewusst verweigerst. Das Buch ist leer, hohl und ohne Bewegung. Es bleibt in seiner Selbstbezüglichkeit und führt nirgendwo hin. Eine leere Geste.
Ich neige dazu deine Intention herauszulesen, obwohl ich von der Schlammschlacht zwischen dir und Sartre im Detail erst hinterher erfahren habe. Das Buch liest sich wie ein einziger intendierter Angriff. Ja, das Buch ist Kritik. An Intellektuellen, an allen Moralaposteln, die sich die scharfsinnigsten Ideen ausdenken und Whisky saufend im Sessel sitzen, denken, denken, denken und arbeiten...hää? Nee… Verantwortung tragen ist Arbeit genug.
Hast du nicht mal was von einer Revolte geschrieben? Jetzt Kapitulation vor dir selbst?