AnnaCarina hat Christa Wolf von Magenau, Jörg besprochen
Review of 'Christa Wolf' on 'Goodreads'
5 Sterne
Magenau zeichnet einen liebevollen Blick auf das Leben von Christa Wolf. In einer chronologischen Bewegung, die sich Vor- und Rückschauen erlaubt verwebt er ihr Schreiben, Freundschaften, Familie, Begegnungen, ihren Gesundheitszustand und politische Schauplätze, zu einem Netzwerk, in dem die Aufrichtigkeit ihres Lebens ausgestaltet wird. Ernüchterung – Niederlagen, Irrtümer und Enttäuschungen.
Insbesondere die Freundschaft zu Brigitte Reimann und das spezielle Verhältnis zu Anna Seghers gönnt Magenau in vielen Einzelszenen.
Es ist gerade ihre Gegensätzlichkeit, die die beiden Frauen verbindet. Während Christa Wolf von der chaotischen Lebenslust Reimanns, von deren unkontrollierter Leidenschaftlichkeit fasziniert ist, schätzt die himmelhoch jauchzende und immer wieder tief abstürzende Brigitte Reimann die ruhige Gelassenheit der Freundin, ihre demonstrative Unerschütterlichkeit.
Wolf über Seghers nach einem kleinen Eklat bei einem Abendessen:
Sie will Klarheit, Entschiedenheit, scharfe Fronten, Recht und Unrecht, glaube ich, und kann und will nicht zugeben, dass so vieles ins Schwimmen und Rutschen geraten ist. (…) Sie machte …
Magenau zeichnet einen liebevollen Blick auf das Leben von Christa Wolf. In einer chronologischen Bewegung, die sich Vor- und Rückschauen erlaubt verwebt er ihr Schreiben, Freundschaften, Familie, Begegnungen, ihren Gesundheitszustand und politische Schauplätze, zu einem Netzwerk, in dem die Aufrichtigkeit ihres Lebens ausgestaltet wird. Ernüchterung – Niederlagen, Irrtümer und Enttäuschungen.
Insbesondere die Freundschaft zu Brigitte Reimann und das spezielle Verhältnis zu Anna Seghers gönnt Magenau in vielen Einzelszenen.
Es ist gerade ihre Gegensätzlichkeit, die die beiden Frauen verbindet. Während Christa Wolf von der chaotischen Lebenslust Reimanns, von deren unkontrollierter Leidenschaftlichkeit fasziniert ist, schätzt die himmelhoch jauchzende und immer wieder tief abstürzende Brigitte Reimann die ruhige Gelassenheit der Freundin, ihre demonstrative Unerschütterlichkeit.
Wolf über Seghers nach einem kleinen Eklat bei einem Abendessen:
Sie will Klarheit, Entschiedenheit, scharfe Fronten, Recht und Unrecht, glaube ich, und kann und will nicht zugeben, dass so vieles ins Schwimmen und Rutschen geraten ist. (…) Sie machte sehr den Eindruck eines Menschen, der retten will, was zu retten ist für sich und für andere: einen festen Halt, einen Glauben, ohne den man nicht leben kann.
Christa Wolf leidet an Herzproblemen. Kopfschmerzen. Später eine Hüft-OP. Letzendlich verstirbt sie an einer Leukämie. Ihre Freunde versterben an Krebserkrankungen. Krankenhäuser sieht sie auf die ein oder andere Weise häufig.
Stets deutet Krankheit in ihren Büchern auf unbewältigte Konflikte hin. Stets sind die Symptome– ob Herzschmerzen oder Gehbeschwerden – metaphorisch zu lesen.
Ihre Ernüchterung verarbeitet sie in ihren Werken. In einer ständigen Spannung zwischen Freiheitssehnsucht und Gebundenheit. Desillusionierung und dennoch die Utopie nicht aufgeben wird zu einem Leitspruch.
Auch in ihren Büchern, ob in «Kein Ort. Nirgends» oder in «Kassandra», visierte sie das Menschlich-Allgemeine an, ein überhistorisches Humanum. Die «Ernüchterung», die sie mit der sozialistischen Utopie in der DDR erlitten hatte, kehrte nun chiffriert als menschliche Grunderfahrung quer durch die Epochen wieder. Die widerspruchsvolle Auseinandersetzung mit der DDR-Realität wurde veredelt zum existenziellen Leiden an der Welt.
Sich selbst verortete Christa Wolf irgendwo im Zwischenraum zwischen Freiheitssehnsucht und Gebundenheit. Wichtig ist dabei, dass der «Widerspruch», den Literatur «hervorzutreiben» habe, im Kontext der Sprache den Systemgegensatz und die bedrückende DDR-Realität transzendiert.
Ihre ernste, introspektive, vielleicht auch biedere und retrospektive Art holt sie ins besondere nach dem Mauerfall ein.
Den Ostdeutschen wurde jedoch nicht die Zeit und der Freiraum zugestanden, sich mit ihrem Leben anders als unter dem Fokus von Schuld und Sühne zu befassen. Was vonstatten ging, lässt sich als diskursive Enteignung bezeichnen. Die pädagogische Rolle der DDR-Literaten, die als Fürstenaufklärer und Volksbelehrer keine Verwendung mehr hatten, wurde vorübergehend von den westdeutschen Kritikern übernommen. Sie machten sich nun daran, die Autoren aus dem Osten zu erziehen. Erste Übung: Watschen entgegennehmen. Dass Christa Wolf zur «gesamtdeutschen Heulsuse» und «Mutter Teresa der Literatur» ernannt wurde, ihre Erzählung gar zum «finalen Todesstuss», das sollte sie gefälligst ertragen lernen.
Und Brecht? Ihm stand Christa Wolf nun näher als damals, zu ihrer aufrechten Jugendzeit, in der er ihr doch etwas suspekt gewesen war. Brecht war zu einem Dialogpartner geworden, der zur Auseinandersetzung herausforderte. «Der da nun, vierzig Jahre später, beschimpft wurde, hat nachdenklich eingeschränkt: ‹Die wir den Boden bereiten wollten für Freundlichkeit, konnten selber nicht freundlich sein.› Diesen Satz habe ich in mir um und um gewendet. Jetzt muss ich auch ihn noch einmal neu befragen.
Die letzten beiden Kapitel zu lesen, sind hart. Schmerzhaft. Magenau schafft die Immersion. Mit Christa ein Leben gelebt und gefochten zu haben. Geliebt zu haben.
Was soll ich Dir schenken, mein Lieber, wenn nicht ein paar beschriebene Blätter, in die viel Erinnerung eingeflossen ist, aus der Zeit, als wir uns noch nicht kannten. Von der späteren Zeit kann ich Dir kaum etwas erzählen, was Du nicht schon weißt. Das ist es ja: Wir sind in den Jahrzehnten ineinandergewachsen. Ich kann kaum ‹ich› sagen – meistens ‹wir›. Ohne Dich wär ich ein anderer Mensch. Aber das weißt Du ja. Große Worte sind zwischen uns nicht üblich. Nur so viel: Ich habe Glück gehabt.
Ich habe Glück gehabt. Diese Biografie - über 8 Monate. Diese Frau. Nach Kassandra bereits Freundin. Jetzt gemeinsam mit Erinnerungen der Heimatlosigkeit und Einsamkeit die Schlussworte Medeas atmend: «Wohin mit mir. Ist eine Welt zu denken, eine Zeit, in die ich passen würde. Niemand da, den ich fragen könnte. Das ist die Antwort.»
Danke Christa für deine grenzenlose Geduld.