AnnaCarina hat Hyperion von Friedrich Hölderlin besprochen
Review of 'Hyperion' on 'Goodreads'
5 Sterne
Update Reread 2025-02-15 "Der Sehnsuchtsort Freundschaft"
„Wir sind uns lieber, als je, mein Alabanda und ich. Wir sind freier umeinander und doch ists alle die Fülle und Tiefe des Lebens, wie sonst.
O wie hatten die alten Tyrannen so recht, Freundschaften, wie die unsere, zu verbieten! Da ist man stark, wie ein Halbgott, und duldet nichts Unverschämtes in seinem Bezirke!
Es war des Abends, da ich in sein Zimmer trat. Er hatte eben die Arbeit bei Seite gelegt, saß in einer mondhellen Ecke am Fenster und pflegte seiner Gedanken. Ich stand im Dunkeln, er erkannte mich nicht, sah unbekümmert gegen mich her. Der Himmel weiß, für wen er mich halten mochte. Nun, wie geht es? rief er. So ziemlich! sagt ich. Aber das Heucheln war umsonst. Meine Stimme war voll geheimen Frohlockens. Was ist das? fuhr er auf; bist du's? Ja wohl, du Blinder! rief ich, und flog ihm in …
Update Reread 2025-02-15 "Der Sehnsuchtsort Freundschaft"
„Wir sind uns lieber, als je, mein Alabanda und ich. Wir sind freier umeinander und doch ists alle die Fülle und Tiefe des Lebens, wie sonst.
O wie hatten die alten Tyrannen so recht, Freundschaften, wie die unsere, zu verbieten! Da ist man stark, wie ein Halbgott, und duldet nichts Unverschämtes in seinem Bezirke!
Es war des Abends, da ich in sein Zimmer trat. Er hatte eben die Arbeit bei Seite gelegt, saß in einer mondhellen Ecke am Fenster und pflegte seiner Gedanken. Ich stand im Dunkeln, er erkannte mich nicht, sah unbekümmert gegen mich her. Der Himmel weiß, für wen er mich halten mochte. Nun, wie geht es? rief er. So ziemlich! sagt ich. Aber das Heucheln war umsonst. Meine Stimme war voll geheimen Frohlockens. Was ist das? fuhr er auf; bist du's? Ja wohl, du Blinder! rief ich, und flog ihm in die Arme. O nun! rief Alabanda endlich, nun soll es anders werden, Hyperion!
Mein Alabanda blüht, wie ein Bräutigam. Aus jedem seiner Blicke lacht die kommende Welt mich an, und daran still ich noch die Ungeduld so ziemlich.
Und so bin ich nun mit meinem Alabanda wieder einsam, wie zuvor. Seitdem der Treue mich fallen und bluten sah in Misistra, hat er alles andre vergessen, seine Hoffnungen, seine Siegslust, seine Verzweiflung. Der Ergrimmte, der unter die Plünderer stürzte, wie ein strafender Gott, der führte nun so sanft mich aus dem Getümmel, und seine Tränen netzten mein Kleid. Er blieb auch bei mir in der Hütte, wo ich seitdem lag und ich freue mich nun erst recht darüber. Denn wär er mit fortgezogen, so läg er jetzt bei Tripolissa im Staub."
Alabanda und Hyperion – eine Freundschaft die von intensiver Nähe lebt und sich dadurch auch in der Distanz bewährt. Eine Kraft, die sich immer wieder erneuert.
Sie ozilliert zwischen dem was war und was sein könnte. Ein Sehnsuchtsort, den beide sich immer wieder neu erschaffen.
Alabanda:
Ich habe meine Lust an der Zukunft, begann er endlich wieder, und faßte feurig meine beeden Hände. Gott sei Dank! ich werde kein gemeines Ende nehmen.
Alabanda ein Mann der Tat, ein Abenteurer, Krieger, ewig in Bewegung.
Wenn ich da in heiterer Luft nach einer Sturmnacht oben am Gipfel des Masts hing, unter der wehenden Flagge […] da lebt ich, o da lebt ich!“
Kann so eine tiefe Freundschaft scheitern?
Alabanda: Ich bin einsam, einsam, und mein Leben geht, wie eine Sanduhr, aus
Was wenn sich die eigene Entwicklung wie ein Verfall anfühlt? Und auch die Freundschaft als Hoffnungsträger, Sinnstifter, der existentiellen Krise sich beugt?
Ach! und alles, was ich hofft und hatte, war an dich gekettet; ich riß dich an mich, wollte mit Gewalt dich in mein Schicksal ziehn, verlor dich, fand dich wieder, unsre Freundschaft nur war meine Welt, mein Wert, mein Ruhm; nun ists auch damit aus, auf immer, und all mein Dasein ist vergebens.“
Eine Freundschaft der tiefsten Tragik. Ich werfe mich vollständig hinein, meine letzte Bastion gegen das Verlorensein in der Welt - und die Bewegung des Lebens, das Werden Hyperions und Alabandes zweigt sich in verschiedene Richtungen.
Alabanda steht plötzlich an einem Scheideweg.
Die alte Welt der Tat.
Die neue der Innerlichkeit.
Eine vollkommene Freundschaft, die nicht bleiben kann.
Verpflichtung brach ich um des Freundes willen, Freundschaft würd ich brechen um der Liebe willen. Um Diotimas willen würd ich dich betrügen und am Ende mich und Diotima morden, weil wir doch nicht Eines wären. Aber es soll nicht seinen Gang gehn; soll ich büßen, was ich tat, so will ich es mit Freiheit; meine eignen Richter wähl ich mir; an denen ich gefehlt, die sollen mich haben.
Was ist wenn man eine Freundschaft zu sehr braucht? Alabanda in einer tiefen Krise zwischen Einsamkeit und Nähe. Tatendrang und Feststecken.
Vielleicht rettet der Verlust.
Verliere dich, um dich zu finden.
Ich finde den Gedanken dieses Buches, gemeinsam eine Welt zu schaffen, für eine Utopie zu brennen viel schöner und produktiver statt sich aus der vorhandenen gemeinsam abzugrenzen.
Ich will Feuer, Wahrhaftigkeit und keinen Rückzug. Selbst dabei zu verbrennen - auszubrennen - das Risiko gehe ich ein.
Originalrezenzion des 1. Durchgangs
Hyperion,
mein Lieber,
hast mit Deiner Zerrissenheit, der Suche nach dem ewig Schönen, dem Ideal der Welt, mein Herz, mit pathosglühender Blumigkeit verschreckt, um es um Deine verzweifelten Gedankenergüsse Alabanda’s Willen, erweichen lassen.
Dass Dein Freund Bellamin nie antwortet, lässt mich Deine Einsamkeit erahnen.
Mit Diotima bekommt der Text die Überschrift Platos [b:Symposion|5323855|Symposion|Platón|https://i.gr-assets.com/images/S/compressed.photo.goodreads.com/books/1670171201l/5323855.SY75.jpg|1488719]. Diotima ist im Syposion eine Priesterin, die Sokrates in der Natur der Liebe unterweist. Liebe als Streben nach der ewigen Form der Schönheit, das Mittel zur Philosophischen Erkenntnis. Enthoben der physischen Verankerung. Das Ideal der Schönheit.
Diotima steht für die Abkehr vom Dualismus, alles ist eins. Sie zerbricht an dem Ideal. Die Ohnmacht der Welt, der Schrecken und Schmerz richten sie zugrunde.
„War es meine Herzens Üppigkeit die mich entzweite mit dem Leben?“
„Zu mächtig war mir meine Seele durch Dich [Hyperion]. Dein Geist war in mich übergegangen. Dein Schicksal hat mir geschadet. Du hättest die Macht gehabt…“
Ärgerlich, wenn man nicht aus sich selbst heraus besteht und die Energie und Fülle des Anderen nicht die eigene ist. Adieu liebe Welt, Vereinigung mit der Natur. Hättet Ihr mal mit [b:Die Gesänge des Maldoror|6275967|Die Gesänge des Maldoror|Comte de Lautréamont|https://i.gr-assets.com/images/S/compressed.photo.goodreads.com/books/1371213010l/6275967.SX50.jpg|254261] gesprochen. Ach nee, der wurd ja erst später erfunden.
Mit Diotimas Selbstmord lässt Hölderlin den lieben Plato ziemlich dumm dastehen. Die Idee zerschellt am Leben selbst.
Und Alabanda, das Prachtkerlchen?! Aktiv, kämpferisch, voller Tatendrang. Er glaubt, dass wir nur uns selbst verbunden sind, in freier Lust mit dem All. Auch er erlischt nach dem Krieg, dem Kampfe. Ein selbstreflektierter Mensch, der um seine Schwächen weiß und sich von Hyperion trennt, auf ins Blutgericht. Er steht diametral zu Diotima, wird ebenfalls nicht glücklich und muss sich, ob seiner Natur, so einiges entsagen.
Hyperion, der arme Tropf, steht nun da, zerrissen… „ Meine Seele tobt gegen sich selbst“
„ Mit erstem Schritt so tief das ganze Schicksal seiner Zeit empfand, unaustilgbar in ihm haftet dieses Gefühl, weil er nicht roh genug es auszustoßen und nicht schwach genug zu weinen. Das ist so selten, dass es uns fast unnatürlich dünkt“.
Dieser emotionsgeladene Vulkan, ergießt sich nun in Deutsche Lande der Notwendigkeit, der trostlosen Tugenden, in eine tote Ordnung. Hält sein Herz die Mitternacht des Grauens aus?
Die Antwort aus dem Schlamassel könne Herr Wieland mit [b:Aristipp und einige seiner Zeitgenossen|16217226|Aristipp und einige seiner Zeitgenossen|Christoph Martin Wieland|https://i.gr-assets.com/images/S/compressed.photo.goodreads.com/books/1356186310l/16217226.SX50.jpg|20281817] sein.
„Es scheint mir einen mittleren Weg demgegenüber zu geben, den ich zu gehen versuchte, und zwar weder über die Herrschaft noch über die Knechtschaft, sondern über die Freiheit, denn dieser führt am ehesten zur Glückseligkeit.“
Die Spannung zwischen dem Ideal und der Welt löst Aristipp durch seine virtuose Lebenskunst auf, einer Moralphilosophie des Könnens, die Alabanda verstanden hat. Diotima erliegt der Philosophie des Sollens und Hyperion ringt, riecht an den Blumen, berauscht sich am plätschern des Wassers und sucht. Ich kann nur hoffen, dass Maldoror ihn findet und sie einen Tanz der Mäßigung und Balance vollführen.