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Zwischen friedlicher Sabotage und Kollaps (German language, 2024) 4 Sterne

Klimabewegung nach dem Kollaps

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Diese Rezension erschien zuerst in Contraste Nr. 485 vom Februar 2025

Das Buch sei, so der Autor Tadzio Müller in der Einleitung, ein »politemotionales Tagebuch«, das drei Erzählstränge vereint: Seine persönliche Geschichte aus der Depression zu »wiedergefundener realistischer Hoffnung«, eine Geschichte der Klimabewegung und schließlich eine neue analytische Perspektive auf das Scheitern dieser und die gesellschaftlichen Ursachen dafür.

Er entwickelt dazu vier Thesen: Erstens, der Klimakollaps sei bereits eingetreten, die Klimabewegung sei also an ihrem Ziel, diesen zu verhindern, gescheitert. Zweitens, dieses Scheitern sei nicht deren Schuld, sondern geschah auf Grund der Herausbildung einer »Verdrängungsgesellschaft«. In den westlichen Gesellschaften sei klar, welche Schuld sie an den Krisen haben und auch was sie aufgeben müssten, um gegenzusteuern. Weil dazu keine Bereitschaft bestehe, werde dieses Wissen verdrängt. Je mehr die Klimakatastrophe spürbar, und je dringlicher die Forderungen der Klimabewegung werden, desto mehr rühren sie an dem verdrängten Wissen und desto mehr Widerstand und Hass rufen sie hervor. Nicht mehr rationales Denken, sondern Affekte, Angst, Schuld und vor allem Scham, liege dem Verhalten zugrunde. Die Gesellschaft entwickle sich zu einer »Arschlochgesellschaft«, wissenschaftlich ausgedrückt, es komme zu einer »gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit«. Drittens stärke dieser Prozess rechte Positionen, die genau diesen Hass aufnehmen und kanalisieren.

Zuletzt aber, auch wenn die Klimabewegung in ihrer derzeitigen Form und Zielsetzung gescheitert sei, sei es jetzt, mitten im Kollaps, umso wichtiger, sich für Klimagerechtigkeit einzusetzen und eine Perspektive zu entwickeln um »solidarisch und handlungsfähig sein zu können«. Müller schlägt vor, sich im »solidarischen Preppen« zu üben. Das meint eine gemeinsame, solidarische Kollapsvorbereitung von unten, aus den Nachbarschaften, um den Rechten etwas entgegenzusetzen. Dafür müsse aber auch die Bewegung erst Schmerz und Trauer aufarbeiten, um neue Kraft zu gewinnen.

Ungewöhnlich an dem Buch ist, dass der Aktivist und Politikwissenschaftler Müller seine Thesen aus der emotionalen Ebene herleitet, aus seinen Erfahrungen in der Klimabewegung, vor allem aber aus den Erfahrungen seiner Homosexualität, dem Umgang mit Scham und Schuld und dem Coming-Out, und das mit einer gesunden Portion an Selbstironie und -kritik. Diese Erfahrungen legt er auf die gesellschaftliche Ebene um, und belegt sie aus einer sozialwissenschaftlichen Perspektive. Seine Argumentation liest sich ebenso schlüssig wie authentisch. Die im Buch vorgetragenen Gedanken bieten eine überraschende Perspektive auf die gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen der letzten Jahre. Die Sprache ist allerdings gewöhnungsbedürftig, schnoddrig, mit englischen Satzteilen und Fäkalausdrücken durchsetzt. Wer sich davon nicht abschrecken lässt, den erwartet jedoch ein durchaus bereichernder Lesestoff.