AnnaCarina hat Nachdenken über Christa T von Christa Wolf besprochen
Review of 'Nachdenken über Christa T' on 'Goodreads'
3 Sterne
3,5 Sterne
Ein Buch, das Christa Wolf zu früh geschrieben hat. Sie ringt um das Ich, die Subjektivierung und kann noch nicht. Der Text liest sich daher ehr als Abwehrgeste, ein Verstecken, Verschanzen hinter vermeintlichen Gewissheiten. Sie riegelt den Text hermetisch ab, einer strengen Ordnung folgend, um ihre Utopie zu schützen. Kühl, nüchtern, distanziert, ernsthaft.
Formal besticht er durch nebulöse, fragmentarische Szenen, die stellenweise so unverständlich gestaltet sind, dass der Lesegenuss und Textfluss ins stolpern geraten.
Da Frau Wolf stark von George Lukács beeinflusst wurde, passt hier seine Definition der Form auf „Nachdenken über Christa T.“ Lukács sieht literarische Formen als Objektivationen, die die subjektiven Erfahrungen und sozialen Interaktionen von Menschen in ihrer spezifischen historischen Zeit verschleiern und gleichzeitig ausdrücken.
In Bezug auf ihre stilistische Umsetzung können wir nochmals Lukács konsultieren:
„Zuständen und Wechselwirkungen unter den Menschen ausgeht, von Verhältnissen, die unter gewissen Umständen zu gewissen Zeiten innerhalb einer bestimmten Gesellschaft zustandegekommen sind.“
Daher lässt sich der Text repräsentativ für viele Menschen der DDR lesen und Christa T. als eine Art Utopie in der bröckelnden Utopie verstehen.
Waren damit beschäftigt uns unantastbar zu machen. Nichts Fremdes in sich aufkommen lassen . Aus Unsicherheit.
Ihre größte Angst – in neue Fragwürdigkeiten und Unsicherheiten zu geraten. Sobald eine vermeintliche Sicherheit ertastet wurde, wird diese verteidigt. Diese Verteidigung kristallisiert sich in ihrem Fall in einer Art Rückzug heraus. Sie verweigert das Gespräch und die Konfrontation mit dieser. Die Freundschaft zu Christa T. wirkt daher auch äußerst unempathisch und fremd.
Dabei wird aber klar – Christa T. ist die Bewegung, jemand der sich scheinbar frei verhält, kommen und gehen kann, wie es beliebt. Wollte keine Abstriche machen. Wilde Auflehnung gegen Todesmüdigkeit. Wirklichkeitshungrig. Voller Klarheit und Bewusstsein. Fand sich niemals mit den Gegebenheiten ab.
Christa T hat sich nichts inniger herbeigewünscht als unsere Welt und sie hat genau die Art Phantasie gehabt , die man braucht, sie wirklich zu erfassen.
Dieser unendliche Möglichkeitsraum wird durch den Tod Christa T’s, Christa Wolf genommen. Daran arbeitet sich die Versuchsanordnung des Textes ab. Ich lese es daher ehr als dokumentarisches Psychogramm Christa Wolfs.
Was ich ihr vorwerfe? sagt Gertrud Dölling da, vom Fenster her, und ihre Stimme hat sich verändert. Daß sie tatsächlich gestorben ist. Immer hat sie alles wie zum Spaß gemacht, versuchsweise. Immer konnte sie mit allem wieder aufhören und ganz was anderes anfangen, wer kann das schon? Und dann legt sie sich hin und stirbt in vollem Ernst und kann damit nicht mehr aufhören. - Oder denkst du, daß sie an dieser Krankheit gestorben ist?
Nein.
Dieser Ernst führt dazu, dass Christa Wolf sie später nicht im Krankenhaus besucht. Sich dafür anklagt und gleichzeit hinter ihren Gründen versteckt. Dem Ernst. Der Tod bringt die Bewegung zum erliegen. Die Utopie der Utopie hinfort und eine Christa Wolf ringt weiter um ihr Ich, ihr Selbst, hängt an den Ketten einer ideologischen Ordnung.
„Meine Generation hat früh eine Ideologie gegen eine andere ausgetauscht, sie ist spät, zögernd, teilweise gar nicht erwachsen geworden, will sagen: reif, autonom. (…) Da ist eine große Unsicherheit, weil die eigene Ablösung von ideologischen Setzungen, intensiven Bindungen an festgelegte Strukturen so wenig gelungen ist.“ [Zitat aus der Biografie von Christa Wolf, Jörg Magenau]
Mich hat das Buch sehr bewegt. Das erste Drittel liest sich fulminant gut und erinnert mich sehr an Arno Schmidts „Aus dem Leben eines Fauns“, inbesondere in den Fluchtszenen.
Im Mittelteil stoßen wir, wie bereits erwähnt auf immer unverständlichere, kryptischere Stellen. Hier verwischt sie zu stark. Die weiteren eingeführten Charaktere wirken leblos, wie Plastefigürchen. Sie schildert Szenen, die unnötig erscheinen, als wüsste sie nicht, was sie zu ihrer Freundin sonst noch erzählen soll. Man kann dem Text durchaus eine gewisse Unbeholfenheit attestieren.
Da für mich hierdurch der psychologische Charakter verstärkt wird und ich dem Buch einen hohen literarischen Wert des Dokumentarischen zugestehe, kann ich das in meiner Beurteilung mit Milde versehen.