Zurück
Nora Bossong: Reichskanzlerplatz (Hardcover, German language, 2024, Suhrkamp) 4 Sterne

Als Hans die junge und schöne Stiefmutter seines Schulfreunds Hellmut Quandt kennenlernt, ahnt er noch …

Review of 'Reichskanzlerplatz' on 'Goodreads'

3 Sterne

Das dimmt in der zweiten Hälfte völlig weg.
Hans, der Icherzähler ist eine passive Figur, die die Umstände und Ereignisse nur beobachtend wahrnimmt.
In der ersten Hälfte ist das durch die feinen psychologischen Ausarbeitungen und Bilder kein Problem. Ehr eine Stärke.
In der zweiten Hälfte läuft das Buch damit völlig ins Leere.
Sein ereignisloses Privatleben nimmt zu viel Raum ein. Die Gedanken hängen fest.
Er sitzt Hitler aus und berichtet immer mehr wie ein fernes Echo einer Zeit, an die viel näher herangezoomt werden müsste.

Das Buch verhält sich wie folgendes Zitat, von Braun im Schweizer Exil: „Die meisten wollen ihre Ruhe“.
Hans jubelt nicht, wie im Zitat folgt. Er lässt Situation um Situation verstreichen.
Gut gelungen sind seine Paradoxien, die er reflexiv ausfechtet. Aber auch die, strecken gegen Ende immer mehr die Waffen. Da fehlt jegliche Tiefenschärfe und Intensität zum Schluss. Das liest sich wie eine einzige breiige Masse, in der alles verschwindet. Das ganze nebulöse, geheime Leben, bleibt unklar und versinkt nichtssagend in dieser seltsamen Apathie Hans‘ und seines Erzählens.
Ein Gefühl der Betäubung legt sich über die Erzählung. Leider nicht nur auf die Protagonisten und die Szenerie, sondern auch auf die Sprache.
Bossong scheint sich selbst mit der Tristesse weggespült zu haben.
Irgendetwas läuft schief. Sie scheint die symbolische Ordnung der NS Zeit und all den Kodex der mitschwingt aushebeln und auflösen zu wollen, sie auf Distanz zu bringen und setzt keine starke Imagination dagegen. Das Loch der Symbolik bleibt wie eine Leere im Text stehen, ohne dass der Erzähler sich dahinter bewegt und ohne das Verdrängte, das Unaussprechliche heranzurücken. Überhaupt keine Möglichkeitsräume, die sich ergeben.

Hier eins der energetischeren Zitate. Hans im Gespräch mit Braun:

„Wer will denn die Regierung gestützt sehen? Ein paar unverbesserliche wie wir, die längst im Exil sind. Die Deutschen haben die Demokratie so schnell vergessen wie eine Vokabel aus ihrer Schulzeit. Das hier, hat sich besser durchgesetzt. Gefressen werden muss immer.“
Braun rieb mit dem Daumen Erde von einer Knolle und hielt sie prüfend in die Sonne.
„Seit meinem Rückzug aus der Politik verstehe ich wie naiv wir damals waren.“
„Sie waren Politiker, keine Hellseher.“
„Aber wir haben ja hell gesehen. Viel zu hell! In Weimar haben wir gedacht, wir könnten mal ebenso die Demokratie einführen. Wir würden den Menschen einen Gefallen damit tun. Und was ist daraus geworden? Die meisten wollen ihre Ruhe. Sie wollen Sauberkeit, Ordnung, eine Frau die ihren die Kinder groß zieht und sie wollen hören, dass sie etwas sind. Irgendetwas. Darum jubeln sie Hitler zu.“


Das Buch ist konventionell geschrieben. Schöne gleitende Sprache.
Wie man am Zitat erkennen kann, jedoch ohne große Kunstfertigkeit.
Das ist gutes Handwerk, dem in der zweiten Hälfte die Luft ausgeht.
Als Hörbuch wunderbar geeignet.
Aber wirklich nichts, das ich auf der Longliste des deutschen Buchpreises sehe.