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Martina Hefter: Hey guten Morgen, wie geht es dir? (Hardcover, German language, 2024, Klett-Cotta) 3 Sterne

Tagsüber hilft Juno ihrem schwerkranken Mann Jupiter dabei, seinen Alltag zu meistern. Außerdem ist sie …

Review of 'Hey guten Morgen, wie geht es dir?' on 'Goodreads'

3 Sterne

Gewinnertitel deutscher Buchpreis 2024

Technisch steriler Realismus. Konsequent bedeutungsentleert. Die Banalität und deprimierende Alltagsrealität stürzt die heroischen mythologischen Wesen in eine Schattenexistenz. Was bleibt? Zynismus, Kommunikation als Abwehrreaktion, funktionaler Alltag – monoton, traurig, hohl und flüchtig.


Ich bin dem deutschen Buchpreis für dieses Buch sehr dankbar.
Martina Hefter arbeitet technisch präzise und konsequent. Daher kann sie mir als Lehrstück für das, was mich bisher an deutscher Gegenwartsliteratur irritiert und verärgert hat dienen.
Auch sie arbeitet wie so viele andere mit einem Realismus, der die äußere Wirklichkeit beschreibend und abbildend zeigt. Weigerung von Psychologisierung und tieferer Reflexion. Die subjektive Erkundung wird abgeschnitten oder maskiert. Ich würde dazu neigen, ihn sogar hier als eine Form des Hyperrealismus zu titulieren, da sie Social Media und Emoticons, GIF’s und Filmbezüge „Melancholia“ nutzt, um eine übersteigerte Reproduktion von Zeichen und Bildern einzuweben. Emotionalität lässt dieses Buch nur künstlich, auf Knopfdruck zu. Eine standardisierte Auswahl an Emotionen. Besonders wirkungsvoll, da dieses Buch einen Sprachstil wählt, der einen starken Kontrast dazu bildet.
Hefter geht im Gegensatz zu vielen Kolleg:innen, die in einer übersteigerten fetzigen, schrillen Art Social Media bespielen, in dessen Negation.
Die Icherzählerin ist eine Frau, die sich schon immer in einer Außenseiterrolle befunden hat. Der Text ist geprägt von einer distanzierten, kühlen Monotonie. Juno hat Schlafstörungen. Sie lebt mit Jupiter zusammen, der an einer Erkrankung leidet, die ihn muskulär stark einschränkt. Er ist auf den Rollstuhl angewiesen. Wir erfahren aber kaum etwas von Jupiter. Nur vereinzelte Gespräche und kurze Erledigungen, Fahrten mit ihm, die komplett entkernt, nur situativ erwähnt werden. Sie bricht ihr Leben auf reine Funktionalität ihrer Person herunter. Bewusste Verweigerung von Tiefe und Lebendigkeit der Figuren. Der Text ist völlig auf das Dilemma des modernen Menschen ausgerichtet. Überforderung und Orientierungslosigkeit. Für wen werde ich in Verantwortung genommen? Wofür Lebe ich? Prekäre soziale Verhältnisse. Rechtfertigen müssen. Heldentum, Glorifizierung? Die hohle Wirklichkeit, eine Hülle, die Leere einer bedeutungslosen Welt.
Die Icherzählerin arbeitet sich in einer zynischen, larmoyanten, teils selbstgefälligen Art und Weise daran ab. Bis über die erste Hälfte des Buches wusste ich nicht wo das hin soll, was ich damit anfangen soll. Zumal sie Verallgemeinerungen, Zuspitzungen und irritierende Gedankengänge einstreut, die meines Erachtens überhaupt nichts mit der Situation zu tun haben, bzw. keinen Bedeutungszusammenhang ergeben. Wie eine Art assoziatives Gedanken streifen lassen, das für mich wie zufällige Behauptungen wirkt. Hier ein längeres Zitatbeispiel dafür, die fehlende Plausibilität der Aussagen Junos zu verdeutlichen. Ein vortäuschen von Tiefe um die eigene Belanglosigkeit zu maskieren. Ein Akt der Distanzierung und provokantem Selbstschutz. Eine reine Abwehrgeste.

...dem Tanzen, und Plutos hatte sich neben sie auf den Boden gesetzt und gefragt, was sie so mache. Plutos sah aus wie jemand, der nicht schlecht verdiente. Man sah den Leuten ihren relativen Reichtum immer an, vor allem den Männern, fand Juno. Wenn sie gut verdienten, hatten sie immer diese gebräunten Gesichter, weil sie Zeit hatten, Radtouren oder Segelausflüge zu machen. Und sie hatten dicke Bäuche, auch wenn sie sonst schlank waren, weil sie regelmäßig Wein tranken.
Juno war zu höflich gewesen, um die Frage nach der Mailadresse abzulehnen, etwas, das sie später bereute.
Als Plutos' Mail kam und darin stand, dass er sich auf ein weiteres Tanzen freue und was sie so in ihrer Freizeit mache, hatte sie nur kurz geantwortet, dass sie nie Freizeit habe.
Es wäre deutlich genug gewesen, hatte Juno gedacht.
Aber jetzt, nach dem Tanzen, als alle in ihre Jacken schlüpften und sich die Schuhe anzogen, kam Plutos zu ihr und fragte, was sie heute noch mache.
Juno sagte, sie müsse nach Schkeuditz in die Sternwarte.
Ich arbeite da. Sie sah Plutos in die Augen, während sie das sagte.
Ein paar andere Leute hörten es auch und drehten sich kurz zu ihnen um. Leicht zweifelndes Lächeln. Plutos sah aus, als würde er ihr nicht trauen, dann wieder doch, da war ein respektvoller Blick. Der gleich wieder in Zweifel umschlug.
Juno war versucht, ihm die Last zu nehmen, das Spiel zu beenden.
Ich mach nur Spaß, wollte sie sagen. Aber streng genommen war's kein Spaß. Sondern eine Form von Rücksicht. Die Menschen konnten manchmal die Wahrheit schlechter verkraften als eine offensichtliche, unverschämte Lüge.
All die Frauen, zum Beispiel, die auf die Scammer reinfielen, wollten die Wahrheit nicht sehen, obwohl sie sie eigentlich längst kannten. Plutos wollte die Wahrheit auch nicht sehen, sonst hätte er sie nicht gefragt, was sie heute Abend mache.
Leute wollten nicht wahrhaben, dass sie sterblich waren, aber zuvor wollten sie nicht wahrhaben, dass sie einsam waren.


Als Psychogramm dient das Buch schon mal nicht.
Also, was soll das?
Genau das was das Buch tut. Die hohle Wirklichkeit demonstrieren. Menschen mit Bedürfnissen in einer ständigen Produktion von Wertschöpfung. Und da sitzt Juno, hat ihre Tanzperformance für die lebt und brennt, von der sie finanziell aber nicht leben kann und mit dem älter werden konfrontiert wird (sie ist 50).
Was mache ich wenn ich überfordert bin und die chaotische Lebendigkeit des Lebens nicht erfassen kann? Ich verknappe und entkerne mich auf das funktional Wesentliche. Das, was einer bedeutungslosen Ordnung folgt. Und Tadaaa, willkommen in der Gegenwartsliteratur!
Diese Texte parodieren im Grunde die Unfähigkeit der modernen Welt bedeutungsvolle Erzählungen hervorzubringen oder unserer Welt noch eine bedeutungsvolle Mystik abzutrotzen. Wir desillusionierten, zynischen Wesen. So wenig Resilienz. So wenig Lebendigkeit. So wenig Lebenstrieb. So wenig, bei zu viel Verantwortung, bei zu viel (digitaler) Welt und zu vielen Tattoos die ich mir als Ersatzhandlung der Bedeutungszuschreibung stechen lasse ( summ summ, Bienchen summ).
Tanzt um euer Leben. Zersplittert in tausend Sterne aber kommt bloß nicht auf die Idee zu versuchen ins Werden zu kommen, den Geist zu bewegen und auf dem uferlosen Ozean kunstvoll zu manövrieren. Nein, das möchte diese Form des Realismus nicht.