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Hermann Hesse: Der Steppenwolf (Paperback, German language, 1980, Suhrkamp) 5 Sterne

A story that focuses on the loneliness and suffering of the protagonist, Harry Haller, who …

Review of 'Der Steppenwolf' on 'Goodreads'

5 Sterne

Der Steppenwolf ist die Selbstsabotage des Anfangs
– die Verneinung, die Tragödie zur Komödie zu formen
– die romantische Sehnsucht nach der Ewigkeit, in der Zeit, durch die Erfahrung der Ewigkeit in den Raum zurückverwandelt wird, was eine Rückkehr zur Unschuld und eine transzendente Erfahrung bedeutet.
Der Steppenwolf ist ein Buch der Angst
– Angst vor der Verantwortung der Freiheit
– Angst vor den Konsequenzen der Freiheit, einem leeren Zentrum, führerlos, mit der endlosen Natur des Begehrens und Mangels konfrontiert.

Haller liebt den „Duft von Ordnung und Sauberheit“ – eine Melancholie nach etwas Verlorenem.
Seine Zerrissenheit, Heimatlosigkeit und die Möglichkeit zu Heilung, werden im Traktat über den Idealismus ausgebreitet:

„Wir sehen, daß er sowohl nach dem Heiligen wie nach dem Wüstling hin starke Antriebe in sich hat, jedoch aus irgendeiner Schwächung oder Trägheit heraus den Schwung in den freien wilden Weltraum nicht nehmen konnte und an das schwere mütterliche Gestirn des Bürgertums gebannt bleibt. Dies ist seine Lage im Raum der Welt, dies seine Gebundenheit.“

„Zurück führt überhaupt kein Weg, nicht zum Wolf, noch zum Kinde. Am Anfang der Dinge ist nicht Unschuld und Einfalt; alles Erschaffene, auch das scheinbar Einfachste, ist schon schuldig, ist schon vielspältig, ist in den schmutzigen Strom des Werdens geworfen und kann nie mehr, nie mehr stromaufwärts schwimmen. Der Weg in die Unschuld, ins Unerschaffene, zu Gott führt nicht zurück, sondern vorwärts, nicht zum Wolf oder Kind, sondern immer weiter in die Schuld, immer tiefer in die Menschwerdung hinein.“


Der Strom des Werdens. Was setzt das voraus?
Bewegung. Dynamik. Tat. Handlung. Integration. Verflechtungen. Lebensbejahende schöpferische Kraft. Freisetzende Energien. Offenheit. Weite.

Wie steht Haller dazu?

„heftige Sehnsucht danach zu fühlen, einmal Wirklichkeit mit zu gestalten, einmal ernsthaft und verantwortlich tätig zu sein, statt immer bloß Ästhetik zu treiben und geistiges Kunstgewerbe. Es endete aber immer mit der Resignation, mit der Ergebung ins Verhängnis.“

Statt Selbstbewegung liefert Haller uns eine Fixierung auf seine höheren Werte und geht in die radikale Negativität und Negation. Er stellt vereinfachte dichotome Strukturen auf. Und fechtet einen Konflikt zwischen rationalem Verstand und emotionaler, intuitiver Erfahrung aus.
Hesse lässt ihn vor Wände und in Sackgassen laufen.
Er weigert sich, sich mit seinem Begehren und Mangel auseinanderzusetzen.

Er wird gefragt „Was begehrst du?“ „Zu büßen“.
Er genießt seine Wunde. Er will nicht geheilt werden.
Was genießt er noch? Zu gehorchen.Wie? Aber nicht doch. Das kritisiert er doch die ganze Zeit?

„Sie [Hermine] bestellte ein belegtes Brot und befahl mir, es zu essen. Sie schenkte mir ein und hieß mich einen Schluck trinken, aber nicht zu rasch. Dann lobte sie meine Folgsamkeit.
»Du bist brav«, meinte sie ermunternd, »du machst es einem nicht schwer. Wollen wir wetten, daß es lange her ist, seit du zum letztenmal jemandem hast gehorchen müssen?«
»Ja, Sie haben die Wette gewonnen. Woher wußten Sie denn das?«
»Keine Kunst. Gehorchen ist wie Essen und Trinken- wer es lang entbehrt hat, dem geht nichts darüber. Nicht wahr, du gehorchst mir gern?«
»Sehr gern. Sie wissen alles.«“


Mit Hermine, Maria und Pablo geht es raus in die Welt der Lust, des Tanzes, der Triebe.
In all das geistlose Zeug, dass der kleine Spießbürger, ach nee sorry, die wilde Bestie Steppenwolf mit Verachtung gestraft hat. Loslassen. Fühlen.
Moment! Sinnstiftend? Die Antwort auf Erlösung?
Na,
„Das Leben hat mir eben nur erlaubt eine Kurtisane mit gutem Geschmack zu werden.“
„Hoffen wir dass andere Zeiten besser waren und wieder besser sein werden, reicher, weiter, tiefer. Aber uns ist damit nicht geholfen.“
„...Musikanten müssen unsere Pflicht erfüllen: das was von den Leuten aktuell begehrt wird.
Nur Musik spielen mehr nicht.“

Ja, sehr erfülltes Leben. Egal welche der Dualität wir nehmen, die Leere ist allgegenwärtig. Die Angst ist allgegenwärtig. Jeder tänzelt auf seine Weise über dem Abgrund. In dämonischer Lust, dem Rausch – der Maskenball. Der beliebigen Tanzerei nach Musik die vielleicht gefällt, vielleicht auch nicht. Dem beliebigen Hedonismus, schicke Täschchen, der Krug Wein. Aber aus Freude? Aus Lust am Leben? Nein.
Ein sich endlos wiederholendes Aufschieben des Absturzes in etwas formloses, angsteinflößendes anderes.

Im magischen Theater dann der Akt der Tötung ein symbolischer Akt der Selbstsabotage, bei dem er versucht, die Quelle seines inneren Schmerzes zu beseitigen.
Aber er hat doch nur dem Befehl gehorcht! „ich fordere dass Du meine Forderung ablehnst, denn das ist es nicht". Die Unmöglichkeit, das Objekt des Mangels ist damit schon beseitigt.
Das Gesetz damit ebenfalls. Eine Integration aber verfehlt.
So Harry, jetzt hasse keine Ausreden mehr. Jetzt gehts um Verantwortung. Die Freiheit.
Alles störende zu eliminieren ist es nicht.

Der wahre Anfang ist der Übergang von der geschlossenen Rotationsbewegung zum offenen Fortschritt, vom Trieb zum Begehren.

Also nochmal die Frage Harry: Was begehrst du?

Mozart zu ihm: „Nehmen sie Vernunft an, sie sollen leben und sollen das Lachen lernen“

Seine Antwort darauf ordnet den Text. Er ist eine Möglichkeit der Unmöglichkeit zu begegnen. Manche Menschen brauchen Zeit, solange sie noch in der Zeit gefangen sind und ihren romantischen Sehnsüchten noch etwas nachhängen wollen. Die Unschuld der Angst. Und ein klares Nein. Der Akt der Freiheit im Nichts zu verweilen. Und nochmal von von.
Gewährt Haller. Gewährt Hesse.

Hesse hat mich ziemlich heftig durch das Buch gescheucht. In der Annahme er würde nun das Werden bearbeiten und in einen dialektischen Prozess eingehen, setzt er mir den festgezurrten Haller vor die Nase.
Seine Sprache wirbelt aber im ozeanischen Chaos, verflüssigend, im Bedeutungsüberschuss durch den Text. Die Mächte treten auf sprachlich, stilistischer Ebene gegeneinder an.
Das mag an einigen Stellen skurril, plakativ, didaktisch, dümmlich, vereinfacht, aufgesetzt, inkonsitent wirken. An eine philosophische Grundidee braucht man sich nicht klammern. Die fliegt einem direkt um die Ohren.
Haller lehnt die Ratio ab. Hesse zwingt dem Leser die Intuition auf.
Und was ihm auch gelingt, für den Leser die Komödie aufzuführen. Er gibt sich selbst Preis. Hesse zieht blank. Wenn man davon ausgeht, dass Haller sein alter Ego ist, gibt Hesse ganz klar zu verstehen „ich bin mir im klaren was nötig ist - ich kann (noch) nicht“, „aber hier: ich geb euch alles mit für den Prozess des Werdens. Macht was draus.“

Ich finde das Buch alles andere als perfekt. Er hat mich an den Rand des Wahnsinns mit den bescheuerten Dialogen um Hermine gebracht.
Aber dieser Text ist die reine Unruhe des Lebens, Selbstbewegung und eine freudige Herausforderung an meine Art des Denkens.