lysander07 hat The Dante Club von Matthew Pearl besprochen
Review of 'The Dante Club' on 'Goodreads'
5 Sterne
Die Hölle -- so sagt eine Redensart -- das sind wir selbst. Vielmehr noch finden wir sie oft in uns selbst oder wir bereiten sie uns und anderen. Unsere Vorstellung von der Hölle ist geprägt von Dante Alighieris berühmter Schilderung aus dem ersten Teil seiner Göttlichen Kommödie, der ' Divina Commedia', diesem epischen Meisterwerk der italienischen Renaissance, das auch im Zentrum des Romans 'Der Dante Club' von Matthew Pearl steht.
Boston, 1865, der US-amerikanische Bürgerkrieg ist seit einem knappen Jahr zu Ende. Präsident Lincoln wurde von dem verwirrten Schauspieler John Wilkes Booth mit den Worten "Tod den Tyrannen" im Theater hinterrücks ermordet. Die immer noch junge USA ist gerade dabei, ihre kulturelle Identität zu finden. Die Kulturschaffenden, das sind in erster Linie die Dichter und Literaten. Allen voran, Henry Wadsworth Longfellow, ehemaliger Harvard-Literaturprofessor, der es sich zur Aufgabe erkoren hat, das größte literarische Werk der Menschheit -- Dante Alighieris 'Göttliche Kommödie' -- möglichst werkgetreu ins Englische zu übersetzen und damit die erste amerikanische Version der 'Commedia' zu schaffen. Bei dieser übersetzerischen Großtat unterstützen ihn die beiden Professoren und Dichter James Russel Lowell und Oliver Wendel Holmes, ihr Verleger J.T. Fields und der Historiker George Washington Greene. Um ihr gemeinsames Unternehmen in die Tat umzusetzen, gründeten die illustren Herren den Dante Club, der sich zu wöchentlichen Sitzungen trifft, bei denen die Übersetzungsvorschläge Longfellows kritisch diskutiert werden. So weit bewegen wir uns auf dem Boden der geschichtlichen Tatsachen.
Eine abscheuliche Mordserie an bekannten Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens erschüttert Boston. Insbesondere die Grausamkeit der Todesumstände und die damit verbundenen Leiden der einzelnen Opfer geben der zur damaligen Zeit recht unorganisierten Polizei Rätsel auf. Zudem kämpft die Polizei ebenso um die Akzeptanz der ersten farbigen Polizeibeamten -- sowohl in den eigenen Reihen als auch in der Bevölkerung. Doch den Professoren des Dante Clubs wird schnell klar, dass sich der Täter anscheinend Dantes Werk als Handlungsanleitung erkoren hat. Doch -- und das macht die Sache rätselhaft -- in den USA existieren bislang noch so gut wie keine (damals nur britischen) Übersetzungen von Dantes Schriften. Es muss sich also aller Wahrscheinlichkeit nach entweder um einen Sprachexperten oder eben um einen Muttersprachler handeln, der nicht nur der alten italienischen Sprache Dantes mächtig ist, sondern zudem auch noch ein Experte des Werkes selbst ist -- so wie gerade auch die Mitglieder des Dante Clubs. Die Professoren sind nun erst einmal alles andere als die geborenen Detektive -- und das vermag Matthew Pearl sehr gut darzustellen. Alle kämpfen sie mit ihren privaten Problemen: Longfellow mit dem tragischen Verlust eines geliebten Kindes (und seiner Frau), Professor Lowell mit dem Harvard-Aufsichtsgremium, das seine Dante-Vorlesungen als papistische Propaganda verunglimpft und verbieten möchte, und Professor Holmes mit großen Selbstzweifeln und einem gebrochenem Verhältnis zu seinem als Kriegsheld heimgekehrten Sohn, der zu allem Ärger auch noch Jura studiert.
"Auf halbem Weg des Menschenlebens fand ich mich in einen finstern Wald verschlagen, Weil ich vom rechten Weg mich abgewandt" -- so heisst es am Anfang von Dantes Kommödie. In dieser Situation sehen sich die Protagonisten des Buches ebenso mit dem eigenen Fehlen konfrontiert. Die Morde sind tatsächlich schrecklich und den Visionen Dantes nachempfunden. Dante denkt sich in seinem 'Inferno' für jede Sünde die passende Strafe, den sogenannten 'Contrapasso' (Wiedervergeltung) aus. Dieser Contrapasso besteht darin, dass die Tat des Sünders in gewisser Weise gegen ihn selbst umgekehrt wird. Die Simonisten etwa -- also Priester, die sich haben bestechen lassen oder die Kirchengelder für private Zwecke veruntreut haben -- trifft der Dichter kopfüber im Boden eingegraben und wie lebendige Kerzen an den Füßen brennend. Ein Schicksal, das auch eines der Opfer im Buch teilen wird.
Wir werden Zeuge der professoralen Schnitzeljagd nach dem dantesquen Mörder, aber der Mörder scheint unserem Dichterkreis immer einen Schritt voraus zu sein. Nicolas Rey, Bostons erster farbiger Polizist, ist ebenfalls hinter dem Täter her und gerät schließlich auf die Spur unserer Professoren. Er wird zum Verbündeten, aber die Dante-Jünger geraten von einer Sackgasse in die nächste. Matthew Pearl schildert das Leben in der winterlichen Metropole des 19. Jahrhunderts in sehr eindringlicher Weise. Die aus dem Bürgerkrieg heimgekehrten Veteranen können sich ebenso wenig leicht wieder in ihr bisheriges Leben integrieren, wie dies den Vietnam-Heimkehrern oder den Veteranen des Irak-Krieges heute gelingen mag. Die Schrecken des Krieges, sie waren damals wie heute im Stande, einem Menschen für immer um den Verstand zu bringen. Und ebenso gibt es und gab es in Amerika Rassismus. Die eingewanderten Iren hetzen gegen die Italiener und die Farbigen aus dem Süden, weil sie ihnen die wenigen Jobs wegnehmen. Auch waren nicht alle Nordstaatler tatsächlich auch Gegner der Sklaverei. Ebenso gibt es Spannungen zwischen den (meist irischen) Katholiken und den vorherrschenden protestantischen Unitaristen. All diese Gegensätze vermag der ebenfalls in Harvard studierte Autor treffend und lebhaft in Szene zu setzen.
Ich habe das Buch in der englischen Originalausgabe gelesen und kann daher erst einmal nichts zur sprachlichen Qualität der deutschen Übersetzung sagen. Im Original wechselt Pearl zwischen dem damaligen Slang der einfachen Leute und Kriminellen und der professoralen Hochsprache. Etwas gewöhnungsbedürftig und wirklich gar nicht so einfach zu verstehen. Im Gegensatz zu den akuellen Bestseller-Thrillern von Dan Brown oder Michael Crichton herrscht hier nicht atemlose, hektische Spannung und eine beständige Abfolge von Cliffhangern, sondern es wird die Psychologie der Beteiligten ausgiebig ausgelotet. Für die Zeitgenossen des 19. Jahrhunderts erschien diese Zeit der Industrialisierung und der frühen Moderne als ebenso hektisch und atemlos wie uns die heutige. Aber -- und das ist gut so -- Matthew Pearl nimmt sich Zeit für seine Figuren, die man beim Lesen schnell lieb gewinnt und die auch für manche Überraschung gut sind.