lysander07 hat Love in the Time of Cholera von Gabriel García Márquez besprochen
Review of 'Love in the Time of Cholera' on 'Goodreads'
4 Sterne
Ein alter Schachspieler liegt tot in seinem Bett -- Selbstmord. Doktor Juvenal Urbino, der geachtete Mediziner und Patrizier, stellt ungerührt die Todesursache seines Schachpartners fest und veranlasst alles weitere, damit dieser schnell unter die Erde kommt. Juvenal Urbino, selbst schon ein alter Mann, überschätzt seine Kräfte und stürzt von der Leiter zu Tode, als er den entflogenen Papagei wieder einfangen möchte. Während der tote Doktor noch aufgebahrt in seinem Haus liegt, damit Angehörige und Freunde von ihm Abschied nehmen können, ist auch Florentino Ariza unter den Gästen und gesteht der frischgebackenen Witwe seine unvergängliche Liebe. Diese findet das natürlich alles andere als passend und wirft ihn kurzerand hinaus.
Doch die beiden sind einander keine Unbekannten. Bereits vor 50 Jahren hatten sich die beiden in der kolumbianischen Hafenstadt, in der die Geschichte spielt, ineinander verliebt, doch das Schicksal, die gesellschaftliche Ordnung und der nicht zu unterschätzende Eigensinn von Fermina Daza verhindern, dass daraus mehr als nur eine platonische Beziehung entsteht. Zwar werden unzählige Briefe geschrieben und ausgetauscht, aber Fermina Daza beendet schließlich diese "Beziehung". Beziehung ist wirklich ein eigenartiges Wort für das Verhältnis der beiden. Bis der allererste Kontakt zustande kommt, bis der erste Brief tatsächlich ausgetauscht wird und bis dieser von Fermina Dazas Seite erwidert wird....da gehen schon einmal ein knappes hundert Seiten ins Land. Marquez kostet es wahrlich aus, dass im 19. Jahrhundert die Uhren noch anders tickten, das Leben sozusagen "entschleunigt" ablief. Doch alles kommt natürlich anders. Schließlich heiratet Fermina Daza Doktor Juvenal Urbino, einen der begehrtesten Junggesellen der Stadt -- und das, obwohl sie ihn eigentlich gar nicht liebt. Wieder ist auch dieses Verhältnis der beiden ein seltsames. Er liebt sie eigentlich auch nicht wirklich, aber irgendwie scheint eine Heirat "doch das Beste"....
Nun ja, Florentino Ariza kommt über Fermina Daza nicht hinweg. Daran können auch die vielen Kurzbekannt- und Liebschaften nichts ändern -- und es sind ihrer hunderte, die da über die Jahre zusammenkommen. Tatsächlich gipfelt das Ganze sogar darin, dass er ihr über 50 Jahre später nach der ersten verbrachten Liebesnacht gegenüber lamentiert, er habe sich für sie "aufgehoben" (die 622 Liebschaften und sexuellen Affären einmal ausgenommen...). Aber bis das passiert, da dauert es natürlich eine Weile -- und noch einmal über 140 Briefe, die Florentino Ariza nach seinem etwas deplatzierten Geständnis im Haus des toten Doktors an die Witwe Florentina Daza schreibt. "Liebe in unserem Alter", so Fermina Dazas Tochter "ist lächerlich. Doch in ihrem Alter", das der Mutter, "ist es eine Ferkelei." Ferkelei hin oder her, sie kriegen sich. Und da die gesellschaftlichen Konventionen noch immer nicht in der Moderne angekommen sind, wird der Flussdampfer, auf dem sie sich ihre Liebe gestanden haben für immer ihr Refugium bleiben. Mit gehisster Quarantäne-Flagge (-> die Cholera....) wird er noch heute zwischen den Anlegestellen kreuzen, ohne je wieder anzulegen......
Eingebettet ist das Ganze in das schillernde Zeitkolorit des ausgehenden 19. Jahrhunderts und dem Einzug der Moderne im Norden Südamerikas. Wir werden Zeugen des ersten Radios der Stadt, der ersten Luftpostzustellung Kolumbiens und die Geschichte seiner Befreiung und seiner Revolutionshelden. Marquez steht in seiner Erzähltradition im Reigen der großen südamerikanischen Autoren, die allesamt die Tragik des menschlichen Daseins stets mit einem kleinen Augenzwinkern zu schildern wissen Gerade das macht wohl auch den Reiz dieser Geschichten aus und gerade deshalb sollte man sich auch die dazu nötige Zeit nehmen.
Fazit: Eine wuchtige südamerikanische Erzählung, stets mit leichter Ironie, aber mit gewissen Längen, die aber eigentlich dazugehören. Marquez ist sicher nicht jedermanns Geschmack. Beim Lesen habe ich mich des öfteren über diese Längen und die Langsamkeit beschwert. Aber im Nachhinein war es alle Mühe wert.