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Karl-Heinz Ott: Verfluchte Neuzeit Eine Geschichte des reaktionären Denkens (German language, 2022) Keine Bewertung

Wie aber lässt sich das Christentum mit Freund-Feind-Schemata in Einklang bringen?

Carl Schmitt liefert die Antwort, in allem Freimut. Anders als Strauß setzt er nicht auf Versteckspiele. Schon in seiner frühen Schrift „Römischer Katholizismus und politische Form“ kommt er auf Dostojevskis Großinquisitor zu sprechen, der Jesus vorhält, alles falsch zu machen, was man nur falsch machen kann. Schmitt bemerkt dazu:

„Dostojevskis Großinquisitor bekennt, den Versuchungen des Satans gefolgt zu sein, in vollem Bewusstsein, weil er weiß, daß der Mensch von Natur böse und niedrig ist, ein feiger Rebell, der eines Herren bedarf, und weil niemand anders als der römische Priester den Mut fand, alle die Verdammnis auf sich zu nehmen, die zu solcher Macht gehört.“

Indem Jesus die weltliche Sphäre von der religiösen trennt, entwertet er den Staat, was beim Großinquisitor heiligen Zorn verursacht. Der Großinquisitor macht sich zum Fürsprecher einer Theokratie, wie man sie heute von den iranischen Mullahs kennt. Der Staat muss mit aller Rigidität seine Gebote und Verbote durchsetzen, über die es nichts zu diskutieren gibt. Wegen der Großinquisitor sich stemmt, ist die neuzeitliche Gewissensfreiheit. Nie hätte es einen Luther gegeben dürfen. Mit ihm gewinnen wir ein Verhältnis zur Welt und zu uns selbst, das Schmitt als „subjektivierten Occasionalismus“ charakterisiert. Es regiert dort die innere Stimme, mit allem Volatilen. Diese Stimme besteht aus vielen Stimmen; sie alle reden durcheinander.

Verfluchte Neuzeit Eine Geschichte des reaktionären Denkens von  (Seite 184)