AnnaCarina hat Virtuoso von Yelena Moskovich besprochen
Review of 'Virtuoso' on 'Goodreads'
4 Sterne
Mit etwas Bedenkzeit wird das Buch besser :-)
Von der Machart erinnert es mich an [b:Zukunftsmusik|60094952|Zukunftsmusik|Katerina Poladjan|https://i.gr-assets.com/images/S/compressed.photo.goodreads.com/books/1641830669l/60094952.SY75.jpg|94755553]: Fragmente, Sprünge auf der Zeitebene und Surreale Einschübe, die hier allerdings ehr als traumartige Gebilde auftauchen und als Metapher fungieren.
Meines Erachtens ging es der Autorin um das Ideal und die Perfektion.
Als Bild im Hintergrund nimmt sie die technischen Errungenschaften der Medizin (Prothesen, medizinische Matratzen): der Mensch kann wieder so funktionieren, wie wir ihn idealisieren.
Weiter arbeitet sie sich daran ab wie Kinder zu sein haben (Kontext kommunistische Tschechoslowakei), welches Verhalten erwünscht ist, welche optischen Ideale man hat, wie man das ideal der erwachsenen Frau erfüllt, das Ideal des Frauseins, das Ideal der Geschlechterzugehörigkeit, Queernes, Rassismus, Erwartungshaltungen an sich selbst und Erfolgsstreben.
Je nach Person und Ort wechselt der Ton und Stil des Buches. Die Szenen in der kommunistischen Tschechoslowakei sind von skurrilen Bildern und Vergleichen durchzogen. Derbe Sprache, verstörend.
Paris in Verbindung mit Aimee, Dominique und Jana ist fließend, poetisch und elegant gestaltet.
Sobald wir auf Zorka treffen, USA oder Paris wird es wieder schmutzig, grob.
Das Buch ist eigenwillig.
Sie setzt die Tonalität der Charaktere sehr gut um.
Die Brüche sind hart und auf mich wirkte die Komposition unharmonisch. Allerdings ist das vermutlich genau das, was die Autorin bezweckt. Dieses unangepasste, stilistisch keinem Ideal zu entsprechen, ist derselbe Widerstand der sich in Zorka spiegelt, die sich keinem Ideal, keiner Perfektion fügt. Rebellion.
Der Feminismus und dessen Unterdrückung durch das Patriarchat wird in der Chat-Metapher aufgenommen. Ich bin eine Leserin, die diese Szenen nicht als reale Handlung einstuft, sondern dies als großes Bild verstanden hat. Hierzu schafft sie ganz zum Schluss eine eindrückliche Szene. Diese Themenverarbeitung ist auf einer verästelten Metaebene umgesetzt. Bin mir unschlüssig was sie jetzt eigentlich sagen wollte. Ein Werkzeugkoffer ist hier essentiell. Und immer wieder der Mann mit dem blauen Tuch. Alle Figuren fließen ineinander, bilden das Ideal des anderen ab, spiegeln sich, verbinden sich mit Erinnerungen.
Mir hat sie zu viele Themen der Idealisierung für die Länge des Buches aufgemacht. Finde, dass dadurch einige Themen unbefriedigend besprochen werden. Durch den speziellen Stil wird vieles auch nicht recht greifbar. Das werden viele wahrscheinlich nicht mögen. Ich bin von zu viel Meta und nebulös auch kein Fan. Mich haben tatsächlich die sehr starken Szenen aus der Kindheit in der Tschechoslowakei beeindruckt.