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Stendhal: Rot und Schwarz (Paperback, dtv Verlagsgesellschaft) 5 Sterne

Review of 'Rot und Schwarz' on 'Goodreads'

4 Sterne

4,5 Sterne
1830, die konservative Restaurationszeit Frankreichs, die nach der Napoleonischen Ära die Bourbonen-Monarchie unterstützte und die traditionelle Ordnung hochhielt. Liberale mit ihren Werten und Forderungen waren Feinde. Die Kirche und der Adel gemeinsam im Machtklüngel gegen die Liberalen unterwegs – „und wenn ganz Paris geopfert werden muss“.
„...die schlechte Angewohnheit des Einander-Mißtrauens den Massen in Fleisch und Blut übergegangen“.


Zunächst vermutete ich einen klassischen Bildungsroman.
Julian Sorel, aus der niederen sozialen Klasse, Vater Handwerker, schwingt sich auf, zum Aufstieg. Bewaffnet mit dem „Memorial von Sankt Helena“, den Tagebüchern Emanuel de las Cases, dem Chronisten Napoleons, träumt er von großen Taten.
Er kann die Bibel auswendig, selbstverständlich in Latein, will Priester werden, um sich raus aus der Kleinstadt zu boxen. Julian macht einen cleveren, ambitionierten Eindruck.
Stendhal liefert aber einen völlig untypischen Bildungsroman, der in einer Sackgasse endet und zur griechischen Tragödie eines Machiavelli für Arme mutiert.

Der tragische „Held“ Julian-
„Wie Herkules stand er am Scheidewege – nicht zwischen Laster und Tugend, sondern zwischen einem wohlgesicherten Durchschnittsdasein und dem Heldentum seiner Jugendträume“- der seiner Hybris des sozialen Aufstiegs erliegt.
Er scheitert am Ideal.
Julian glaub, dass Liebe Krieg sein muss, ein Feldzug, etwas funktionales: „Hochmütig, wie er war, wollte er dem blinden Zufall und der Eingebung des Augenblicks nichts überlassen. Auf Grund der Geständnisse Fouqués und etwelcher Aphorismen aus seinem Lieblingsbuche, die ihm einfielen, entwarf er sich einen bis ins einzelne gehenden Feldzugsplan. Und da er, ohne es sich einzugestehen, nicht klar und sicher war, so schrieb er diesen Plan nieder.“
Da kaum Selbstreflexivität vorhanden ist, Julian sich nicht in Bezug zur Umwelt setzen kann, kaum selbstständig denkt, sondern lediglich auswendig gelerntes copiert, keine nennenswerte Anpassungsfähigkeit aufweist und auf Grund dessen, extrem unbeweglich bleibt, haben wir es mit einer reinen Berechnung und strategischem Abarbeiten und Pflichterfüllung zu tun. Das unausweichliche Schicksal droht!
Sämtliches Personal weist kaum Charakterentwicklung auf.
Da Julian nunmal ein äußerst empfindsamer, sensibler Mensch ist und in einem System lebt, das keine Schwäche duldet, von Maskerade, Fassade, Heuchelei, Schauspiel und Manipulation lebt (Machiavelli Hallo!), wird es hart!
"Wirkliche Festigkeit fehlt mir«, gestand er sich in tiefstem Weh über den Zweifel an sich selbst. »Ich bin nicht aus dem harten Holze der großen Männer geschnitzt“
Er trifft lauter Fehlentscheidungen.

Stendhal lässt ihn an Sitzungen teilnehmen und Mitschriften anfertigen. Auf einem Ball, führt Julian ein erhellendes Gespräch mit Altamira, in dem es um Utilitarismus geht.
„der Zweck heiligt das Mittel! Wenn ich nicht bloß Statist wäre, sondern einige Macht hätte, würde ich drei Menschen hängen lassen, um vieren das Leben zu retten“
Pragmatismus vs. Moral in politischen Entscheidungen.
Stendhal legt Julian weiterhin folgendes in den Mund: „Die Leute, die man zu ehren pflegt, sind nichts weiter als Halunken, die das Glück gehabt haben, nicht in flagranti ertappt zu werden. Der Staatsanwalt, den die Gesellschaft auf mich hetzt, ist durch eine Infamie reich geworden.“
Das war ebenfalls für Machiavelli ein entscheidender Punkt : Glück oder Zufall als Voraussetzung für Erfolg oder Misserfolg.
Bei der ganzen Deppenparade naheliegend.
Die Zweizüngigkeit Machiavellis und Pro-Version finden wir in der Person Mathilde de Mole - Meine Voodoo-Hexe