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Thomas Mann: Der Tod in Venedig (Paperback, FISCHER Taschenbuch) 5 Sterne

Review of 'Der Tod in Venedig' on 'Goodreads'

5 Sterne

Spiel, Satz und Sieg für Thomas Mann.
In meiner naiven, vorurteilsbeladenen Vorstellung der Person Thomas Mann’s, war ich davon ausgegangen, dass dieser arrogante, distanzierte Mensch, mit seiner steifen Art und der überladenen Sprache, mir niemals gefährlich werden könnte. Meine Abneigung einer gewissen „Bildungselite“ gegenüber sitzt tief.
Das Buch beginnt mit einem „ersprießlichen Abend“. Alles klar. Gestelzt, geschliffene Sprache. Vorurteil bestätigt, hochgenöpfte Bluse rausgeholt, vornehmer Sitz und weiter gehts. Let’s play, Thomas Mann!

Nun scheint mir das Glück hold. Mann bespielt ausgerechnet Themen mit denen ich mich bereits auseinander gesetzt habe:
• Psychoanalyse, Lacan: Das Reale, das Symbolische, das Imaginäre und die Gefahr die entsteht, wenn Signifikanten wie Leidenschaft und Verbrechen zusammengelegt werden und ihnen damit eine gemeinsame symbolische Bedeutung zufällt. Die 3 Ebenen erklären den kompletten Verlauf des Buches und machen Aschenbachs Verhalten nachvollziehbar und kohärent.
Psychoanalyse: auch ohne vermeintliche Religiosität, opfert Mensch gerne – bis zum größt möglichen Opfer
• Eros als Negation, das Fremde/Andere, einem Mangel, der notwendig ist. Das Begehren.
• Luhmann, Liebe als Passion
• dionysischer Wahnsinn und damit verbunden Griechische Antike Sprache und Anspielungen

Folgendes Zitat findet sich im Nachwort zum Buch :
„zwischen dem dionysischen Geist unverantwortlich-individualistisch sich ausströmender Lyrik und dem apollinischen objektiv gebundener, sittlich-gesellschaftlich verantwortlicher Epik.« Der »schmerzhafte Prozeß der Objektivierung« sei »aus den Notwendigkeiten meiner Natur« hervorgegangen, einer »Grundverfassung«, die als »protestantisch-puritanisch« und einem »Verhältnis zur Leidenschaft«, das als ein »gründlich mißtrauisches, gründlich pessimistisches« bezeichnet wird“

Das Buch beginnt mit dem Apollinischen. Aschenbach, auf Leistung verpflichtet, immer angespannt, dem die Physis nicht gegeben ist, dafür geboren zu sein, verbissen, verkopft. Der sich den Heroismus der Schwäche als Ordnungssystem baut, um dem Mangel entgegen zu treten.
In Venedig trifft er auf seinen Mangel – Eros – in der Person des Jungen Tadzio- das Ideal der griechischen Schönheit.
Jetzt kommen 2 Aspekte zum Tragen:
1) Aschenbach als Künstler, der immer mit dem „Trotzdem“ in seiner Kunst leben muss. In Selbstüberwindung, ein standhaftes, enthaltsames Leben, ständiger Opfer. Tadzio ist eine mystische Quelle der Inspiration, in dem er das Ideal der vollkommen Kunst und Schönheit erblickt. Na, wer da nicht den alten Plato tänzeln sieht.
2) Aschenbach als alter Mann, dem Begehren nach Jugend und Vitalität.

Über die Choleravertuschung, Leugnung und dem daraus resultierenden sittlichen Verfall, spiegelt Mann, Aschenbachs Werdegang, der ebenfalls durch Selbstleugnung seine symbolische Ordnung ins wanken bringt, sich ans Reale heranführt und in einem fulminant geschriebenen dionysischen Traum, seinem Gott begegnet. An diesem Punkt hat Mann mich, durch den großen Anderen, in die Knie gehen lassen. Spiel beendet.
Thomas Mann’s "Tod in Venedig" ist keine grobschlächtige Axt im gefroren See. Tod in Venedig ist ein Tanz mit einem Katana, das durch die Eingeweide gleitet. Ich habe noch nie ein Buch mit solch einer energiedurchströmenden Harmonie gelesen, die auf mich dermaßen vernichtend wirkt.