AnnaCarina hat Lolita von Vladimir Nabokov besprochen
Review of 'Lolita' on 'Goodreads'
2 Sterne
Mit Lolita haben wir ein Werk, das ohne gewisse Hintergründe zur Person Nabokovs schwer einzuordnen ist.
Nabokov war ein leidenschaftlicher Verfechter des künstlerischen und technischen Aspekts des Schreibens.
„ästhetische Lust[…] ,mit anderen Seinszuständen in Berührung sein[…,] bei dem Kunst die Norm ist“
Symbole und Allegorien waren ihm ein Gräuel.
„Lolita hat keine Moral im Schlepptau. Ich schreibe keine didaktische Prosa.“
„Ich habe einen dauerhaften Groll gegen Leute, die ihre Literatur gern erzieherisch oder erbaulich, patriotisch oder so gesund wie Ahornsirup hätten.“ [Zitate Nabokov]
Für Nabokov ist große Literatur letztlich eine möglichst ununterbrochene Kette von wunderbaren Details, die von einem wunderbar begabten Seher bemerkt oder erdacht, in wunderbare Sprache gekleidet und einem möglichst kultivierten Leser dargereicht werden. Eine hochfiligrane Intarsienarbeit für gebildete Connaisseure, eine Schweizer Uhr, eine Juweliersarbeit für Könige. Große Kunst bezieht sich vor allem auf sich selbst und lebt nach ihren eigenen Gesetzen. [Zitat deutschlandfunk/der-herrlichste-pedant-der-weltliteratur-100]
Lolita ist für mich nichts anderes, als einmal Literaturströmungen und Autoren, die er zutiefst verabscheut mit Scheiße zu überziehen.
Und alle tappen in die Falle, genau die Themen zu diskutieren, zu denen er uns den fetten Stinkefinger ins Gesicht hält. Der Mann ist großartig!
Das Buch funktioniert trotzdem nicht und das aus folgenden Gründen:
Der unzuverlässige Icherzähler ist äußerst unglücklich gewählt. Da der Typ, von Beginn an klar macht, dass er ein Lappen ist, und auf einfältige Art und Weise versucht manipulativ zu wirken, bekommt seine ganze Figur sofort etwas tragisch, lächerliches. Wir können nur weit von oben herab auf diese armselige Wurst hinabschauen.
Alle psychologischen Tricks und Kniffe greifen nicht im weiteren Verlauf. Das macht den Icherzähler unfassbar langweilig und redundant.
Die stilistischen Mittel, die Nabokov dann auch noch wählt, geben dieser Figur einen miefig, angestaubten, Muffcharakter.
Die Romantik, mit dem französischen Gequake durch den Kakao zu ziehen und die ganze Gentleman – Künstler Attitüde, beißt sich kollosal mit der spießbürgerlichen Vulgarität Amerikas seiner Zeit. Das ist eine Art Humor die bei mir null zieht.
Das nächste Problem des Icherzählers, ist die massive Verankerung in der Terminologie der symbolischen Sprache. Da er versucht die Realität zu verschleiern und die Erzählung kontrollieren will, müssen auch scheinbar nicht zusammenhängende Bedeutungsebenen miteinander verbunden werden. Dies führt für mich zu einem Missklang der Erzählung. Die Ästhetik erzeugt keine Harmonie. Zudem friert die Erzählung dadurch ein. Humbert Humbert's eingeschränkte Sicht, die alles definiert und festlegt, sorgt dafür, dass der Text überhaupt nicht atmen kann. Nahezu alle Referenzen auf Kunst und Literatur laufen ins Leere. Dienen nur der Kontrolle, der Bestätigung und Selbstreferenz des Icherzählers. Oder dem persönlichen Spass des Lesers an intellektueller, bildungsschwangerer Schnitzeljagd (find ich jetzt nur so semigeil).
Ledig den Undine-/ und Carmenbezügen, würde ich eine erweiterte Perspektive gestatten, die aber letztendlich auch nur den Nymphencharakter Undines und in Bezug auf Carmen - Begierde, Eifersucht, Schicksalhaftigkeit, Manipulation und Macht aufgreifen.
Also eigentlich ist das Buch eine einzige Karusselfahrt, mit wechselndem Untersatz.
Aussicht bleibt die Gleiche.
Dem Buch dann am Ende noch diesen unsäglichen Slapstick-Charakter zu verpassen, hat mein Wohlwollen nicht befördert.
Ich erkenne an: Nabokov ist ein unfassbar guter Schriftsteller, der eine begnadete Sprachfreude besitzt.
Die Charlotte-Szenen, mein Lieblingsteil. Zwischendurch kommt die Erzählung durchaus in Fahrt. Die letzen 100 Seiten, habe ich, wenn man von dem Quilti-Schmierentheater absieht, gern gelesen.
Zusammenfassend: Lolita trifft weder meinen Humor, noch überzeugt und unterhält mich der Plot. Ein Buch, das weitestgehend als vermuffter Rohrkrepierer endet. Oder um Humbert Humbert zu zitieren: „ Wir setzen unsere groteske Reise fort… nach einer nutzlosen Fahrt...“