AnnaCarina hat Antigone von Sophocles besprochen
Review of 'Antigone' on 'Goodreads'
4 Sterne
Wir sind von Anfang an durchkreuzt. Vor der Einheit, gibt es die Zweiheit. Ein System funktioniert immer auf seine antagonistische Weise.
Sophokles führt den Kampf der Mächte auf: menschliches vs. göttliches Gesetz.
Hegel, aus der Phänomenologie:
„Das Selbst des Bewusstseins ist im geistigen Wesen gesetzt - als aufgehobenes, Einheit, worin nur die Momente sind. Das geistige Wesen ist hiermit für das Selbstbewusstsein an sich seiendes Gesetz. Es ist ein ewiges Gesetz, welches nicht in dem Willen des Individuums seinen Grund hat, sondern der reine Willen aller. Dadurch sind die Unterschiede an dem Wesen selbst nicht zufällige Bestimmtheiten, sie sind Massen ihrer von ihrem Leben durchdrungenen Gliederung, sich selbst klare unentzweite Geister - sie sind und weiter nichts. So gelten sie der Antigone des Sophokles als der Götter ungeschriebenes und untrügliches Recht.“
„Substanz spaltet sich in menschliches und göttliches Gesetz.
Das Selbstbewusstsein teilt sich einem der Mächte zu - es erfährt in der Tat den Widerspruch der Mächte.
Gegenseitige Zerstörung - Widerspruch findet und findet seinen eigenen Untergang.
Indem die Sittlichkeit zugrunde geht ist es zum wirklichen Selbstbewusstsein geworden.“
„Die sittliche Substanz als negative Macht, welche beide Seiten verschlingt, oder das allmächtige und gerechte Schicksal aufgetreten.“
Sehr schön eingefangen die zusätzliche Spaltung der Individuen.
Kreon scheitert in doppelter Hinsicht am Göttlichen Gesetz, indem er den Willen der Götter nicht ehrt und sie keine Opfer mehr annehmen und zum anderen missachtet er das Gesetz der Familie – der Liebe- und damit der Vermittlerinstanz, das tote Ich, in den lebendigen Stand des Allgemeinen zu erheben.
Antigone schiebt zwar das göttliche Gesetz vor. Damit ihr Bruder es im Reich der Toten schick hat, muss er beerdigt werden. Gesetze der Götter. Gleichzeitig ist es für sie das Gesetz der Familie- der Liebe. Und hier ist sie ambivalent unterwegs. Für diesen Bruch feiere ich Sophokles ungemein.
Zitat Antigone:
„Denn nie, wär ich von Kindern Mutter auch gewesen, noch wär ein Gatte mir im Tod dahingeschwunden, hätt ich den Bürgern trotzend diese Müh mir auferlegt. Im Sinne welcher Satzung sage ich dies nun? Stürb mir der Gatte, könnt ich einen andern finden, 910 bekäm von ihm ein Kind auch, hätt ich eins verloren. Da aber Mutter mir und Vater ruhn in Hades’ Reich geborgen, gibt’s keinen Bruder mehr, der je mir wüchs heran. Doch da ich nun nach solcher Satzung dich vor allen hab geehrt, fand Kreon, dass darin ich hätt gefehlt und zu Fürchterlichem mich erkühnt, o brüderliches Haupt!“
Ohhh, auf einmal doch nicht mehr göttliches Gesetz, sondern Gesetz des Herzens, das zufällig mit Gesetz des Menschen konform ginge, wenn es denn so erlassen würde.
Bei Sophokles endet es mit dem physischen Tod für einige und natürlich mit dieser Erkenntnis, die nur eine Seite zulässt:
„Weitaus erste Bedingung des Glücks ist das vernünftige Denken; man darf die Sphäre der Götter niemals entheiligen; doch große Worte der über die Maßen Stolzen lehren, haben sie unter großen Schlägen gebüßt, im Alter vernünftiges Denken“
Anhand von Hegels Zitaten kann man einen anderen Schluss ziehen:
Beide Seiten haben Recht und Unrecht zugleich- oder um es mit Zizek zu zitieren: "Gott begegnet sich als sein größter Verbrecher"- solange sie sich nur auf sich selbst beziehen.
Beide müssen zugrunde gehen um in einer Synthese die Stufen zur Erkenntnis zu erklimmen.