AnnaCarina hat Ich stelle mich schlafend von Deniz Ohde besprochen
Review of 'Ich stelle mich schlafend' on 'Goodreads'
2 Sterne
2,5 Sterne (ich habe lange mit mir gerungen, ob ich aufgrund der herausragend guten sprachlichen Gestaltung aufrunde - Bonuspunkte gebe. Erst mal nicht. Der Unmut überwiegt aktuell noch)
„Seine Größe entsprang seiner Überredungskunst. Der Fähigkeit, ein Nein in ein Ja zu verwandeln. Ein Zauberer war er, der seinen Willen durchsetzte. Wie der Mond das Wasser den Gezeiten unterwarf, war Lydias Freund nicht laut, nicht aufbrausend, sondern beharrlich. Sie folgte ihm wie das Wasser. Verschwand hinter den Felsen seines Brustkorbs, nur Schlick war übrig. In sie eingebläut, dass der Wunsch des Mannes in Wirklichkeit auch der ihre sei. So lag Yasemin in diesem silbernen Licht und bewegte sich nicht, gleichwie sich Lydia nicht bewegte. Yasemin wohnte ihrer eigenen Zeugung bei. Das Kind– es sollte nicht aufwachen. »Aydede, ich stelle mich schlafend.« Ein rhythmisches Schmatzen war zu hören. Yasemin wagte nicht mehr, durch ihre Wimpern zu schauen.“
Ohdes schwebend, elektrisierende Sprache überzeugt.
Das Zitat nimmt den Leser in eine traumatisierende Erfahrung Yasemins in ihrer Kindheit mit.
Das Psychogramm Yasemins, durch Lücken, Auslassungen der Erzählung, der Kühle, Distanz, Funktionalität, Ohnmacht - absolut überzeugend.
Die Traumatisierung – Schuld – setzt vor ihrer Geburt ein. Schuld gezeugt worden zu sein. Eine alkoholisierte Mutter, die nicht Nein sagen konnte und dies symbolisch durch ein Zitat in der Bibel, sich und ihrer Familie, tagtäglich im Schrank stehend, mahnend nicht vergessen lässt.
Yasemin, ein fragmentiertes Selbst, die Lust und Genuss nur in Form von Reinigungsritualen, Ordnung, Struktur, Spaziergängen in der Natur und Atmen verspüren kann.
Genuss an einer liebevollen Beziehung? Schwierig. Erträglich, solange sie und ihr Skoliose geplagter Körper miteinander stabil sind, zusammengehalten werden.
„ Die unzähligen Abende mit Hermann vor dem Fernseher: das Glück. Sie hatten Zeit zu verschwenden. Seine Finger glitten ihr durchs Haar. Kein Zweifel war in ihrem Zusammensein, kein Reißen, das sie zu ihm hingezogen und ihr Schmerzen zugefügt hätte. Sie verschwand nicht in ihm, und immer wenn sie es versuchte, wies er es zurück.
Genuss an der Wiederholung des Leides, dem Schmerz – Masochismus.
Hier begehrt jemand das Begehren auszulöschen. Todestrieb, volle Fahrt voraus!
Vito – der Messias, der bewundert und gefürchtet werden, aber bloß nicht heilen will ist durch diese überbordende Psyche nur Statist.
Yasemin überlagert in ihrer komplexen Anlage den gesamten Text.
Ihre Freundin Immacolata, Vito, sein Freund Sascha,Hermann, Lydia (zu der komme ich gleich noch), Ante ihr Vermieter – alles Figuren die irgendetwas dienen und doch zusammenhangslos, teil sinnlos im Text angelegt und inkonsequent bearbeitet werden.
Ohde stellt in „ich stelle mich schlafend“ ein Zitat aus Amor und Psyche voran.
Sie verfolgt die narrative Struktur des Mythos von Fall, Prüfung, Läuterung und Erhebung.
Ihr geht es um Ganzheit und Transformation.
Die mystischen Momente des Buches, die Hexen, sollen Hoffnung spenden. Die Schicksalsgläubigkeit dient der Legitimation zum Verderben und Schmerz.
Die Kosmetikerin Lydia und Freundin Yasemins, illustriert eine weise Frau, die Yasemins Transformation symbolisch durch das Abziehen einzelner Hautschichten herausarbeiten soll. Weise – Lydia hat Erfahrung und Meinung. Sie ist Prozesstreiber.
Lydia bemüht einen Vergleich einer Affekthandlung um Yasemins ( wir beachten die komplex angelegte Psychologie hinter dieser Person) Dilemma mit der Männerwahl zu veranschaulichen:
„Bis heute habe ich diese blaue Flamme vor Augen. Bis heute frage ich mich, warum ich das getan habe. Warum ich mich nicht habe aufhalten können. Wie eine Schlafwandlerin. So kommt mir das vor, was dir passiert ist.“
Das Buch bleibt in oberflächlicher Schau – rutscht kurz in den gesellschaftspolitischen Diskurs, Stichwort Empowerment ab, ohne der traumatischen Persönlichkeit Yasemins gerecht zu werden.
Die Läuterung und Erhebung – wenig überzeugend. Zu hart im symbolischen, der Realität verortet, zu seicht, zu einfach, zu banal.
Ohdes Text wirkt im letzten Drittel wie der Zauberlehrling, der die Geister die er rief, nicht mehr unter Kontrolle bringt.
Der Text geht auf. Ja. Er liest sich fantastisch. Und dennoch bleibt das Gefühl betrogen worden zu sein, um Magie, um Imagination, um Verbindungen, um Tiefgründigkeit, um Yasemin. Das Gefühl, die Autorin hat ihre eigene Figur nicht mehr verstanden und verarztet eine lebensgefährliche Wunde mit etwas sozialer Wärme, freundschaftlichem Gequatsche beim Pickel ausdrücken, exorzistischen Atemübungen und ein paar Selbstreflexionen, die nicht annähernd die Schichten des traumatischen Kerns erreichen.