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hat Lichtungen von Iris Wolff besprochen

Iris Wolff: Lichtungen (German language, 2024, Klett-Cotta Verlag) 2 Sterne

Review of 'Lichtungen' on 'Goodreads'

2 Sterne

Shortlist deutscher Buchpreis 2024

2,5 Sterne
Ach man! Sehr ähnliche Anlage einer passiven, zögerlichen Figur wie in [b:Reichskanzlerplatz|212002374|Reichskanzlerplatz|Nora Bossong|https://i.gr-assets.com/images/S/compressed.photo.goodreads.com/books/1713812261l/212002374.SY75.jpg|218234508], die in einem politisch brisanten Umfeld aufwächst, von dem wir nur Ansatzweise intensivere Eindrücke bekommen. Eine Erzählung, die wie ein zu weit entferntes Echo agiert.
Das erste Drittel fand ich stark. Hier kommt es zu Immanenz. Lev auf dem Rad unterwegs. Und mit ihm der Zerfall Rumäniens. Die Menschen verlassen die Orte, wenige bleiben zurück, alles ist fort. Intensive Szenen.

„Die Auswanderung war unausweichlich. Wie eine Sucht. Jeder fürchtete, der Letzte zu sein. Anna und Herbert hatten sich fürs Bleiben entschieden. Ihre Kinder waren gegangen, ihre Nachbarn, auch der Pfarrer war fort. Warum sie hier ausharrten, wurden sie gefragt. Sie harre nicht aus, sie lebe, sagte sie“

„Die verlorene Zeit, sagten sie. Als gäbe es eine, die blieb. Von nun an sah Lev die Dörfer, durch die er mit seinem neuen Rad fuhr, mit anderen Augen. Er hatte zuvor kaum darauf geachtet, auch in seinem Dorf gab es verlassene Häuser, verwaiste Gärten. Auch in seinem Dorf war es über die letzten Jahre so gewesen, dass ein jeder den anderen ansah mit diesem Blick: Gehst auch du? Dass vor den Toren, auf den Bänken immer jemand von jemandem zu berichten wusste, der ging. Und mit jedem, der ging, wuchs der Gedanke, ebenfalls zu gehen. Und mit jedem, der blieb, festigte sich die Hoffnung, bleiben zu können.“


Ebenfalls die Verbundenheit zur Landschaft und Natur, als Eins mit den Menschen, kommt über Bilder sehr schön heraus.

Sprachlich ist der Text ebenfalls sehr gut gearbeitet. Er bearbeitet das Thema der Zugehörigkeit, des Abwartens.

„ Die Stille dieser Szene war mehr als die Abwesenheit von Geräuschen, es war ein großes Hinhören, Abwarten. Der Fluss lauschte auf etwas, ebenso Pflanzen und Tiere. Dieses Hinhören ging durch Lev hindurch, durch seine Brust, seinen Bauch, seine Beine, dauerte kaum mehr als wenige Atemzüge, dann lag es hinter ihm, war fort. Die Enten hoben ihre Köpfe aus dem Gefieder, Vögel flogen auf.“

ABER
Er driftet in künstlich, gewollte Gestaltung ab. Insbesondere wenn sie versucht philosophische und psychologische Gedanken einzubauen, wird's unrund.
Sie lässt Lev Dinge denken und sagen, die zum einen universelle Thematiken bespielen und zieht diese ins Spezifische, Besondere. Verkürzt sie dadurch, nur um dem Situativen Zustand eine zusätzliche Brisanz oder sogar Alleinstellungsmerkmal zu verleihen.
Zudem bespielt die weitere Handlung, also der Inhalt, diesen Aufbau des Gedankens nicht weiter. Er verkehrt ihn sogar. Ich bekomme stellenweise den Eindruck, als kenne Frau Wolff nur oberflächlich die Begriffe und verwendet diese schief und verunglückt.

Der episodische Charakter der Kapitel, die auch noch in der Zeit rückwärts erzählt werden, erschwert das Lesen zusätzlich. Dies dient überhaupt keinem Zweck. Ich kann jedenfalls nach Beenden nicht erkennen, warum man diese Geschichte rückwärts erzählen muss. Es reißt den Text auseinander. Sie verbindet die Teilstücke nicht ausreichend.

Kato bleibt zudem blass und kommt sehr selten vor. Es bleibt unklar, wie diese intensive Bindung zu ihr zu begreifen ist. Dem Buch fehlt es an Plausibilisierung.

Ich bin enttäuscht. Obwohl es endlich ein Buch der Longlist des deutschen Buchpreises ist, das sprachlich eine gewisse Wucht entfaltet und auf dieser Ebene in Bewegung kommt, scheitert es hier an der Nachvollziehbarkeit und der formalen Gestaltung.